Acht Jahre

Ich gehe nach vorne, um ein Bier zu bestellen. Sie sitzt am Tresen, hat ein paar Fingerspitzen im Mund. Ich sehe genauer hin. Unter ihr steht ein Barhocker; auf den ich mit dem Finger zeige.
- Sitzt du schon lange auf dem Ding?
- Acht Jahre. Abzüglich der Zeit, die ich nicht hier war. Aber die zählt nicht viel.
- Ich habe dich nie gesehen.
- Na ja, der Barhocker stand vorher in der Küche.
- Was hast du gemacht?
- Kartoffeln geschält.
- Kartoffeln, ich habe hier nie etwas gesehen, das aussah, als wäre es aus geschälten Kartoffeln gemacht.
- Das wirst du auch in Zukunft nicht.
- Was hast du angestellt, mit den Knollen?
- Na ja, ein paar habe ich gegessen.
- Und den Rest?
- Den Rest habe ich geschält, bis er nichts als Schalen war.
- Schale Kartoffeln, sozusagen.
- Das hab ich mir auch gedacht, fünf Jahre lang.
- Und die restlichen drei?
- Hab ich versucht, den Gedanken zu vergessen.
- Warum?
- Mir gefällt er nicht. Zu einfallslos. Außerdem wollte ich mal an was anderes denken.
- Klar.
- Ich wollte mir etwas ausdenken.
- Ausdenken. Komisches Wort, klingt nach Inquisition.
- Einen Gedanken ausdenken.
- Hier gibt’s nicht mal Kartoffelschnaps.
- Du warst nie in der Küche?
- Ich mag Kartoffeln nie besonders.
Ich zähle die Barhocker ab, es sind acht.
- Acht! sagt sie. Es sind insgesamt acht.
Ich nicke, fühle mich alles in allem ertappt.
- Ist es dir gelungen?
- Was?
- Das mit den schalen Kartoffeln. Sie zu vergessen.
- Nein, ich kann mich erinnern.
Ich bestelle eine Bierflasche und trinke sie in einem Zug leer. Berühre ihr Gesicht. Sie nimmt ein paar Fingerspitzen mit ihren Lippen.
- Ich glaube, ich gehe jetzt besser.
Sie sagt nichts.
- Hast du etwas ausgedacht?
- Nicht wirklich.
- Also doch, nun sag schon.
- Nicht wirklich.
- Nicht wirklich?
- Genau.
- Ha ha, die Küche als Wortschmiede. Ich glaube, ich gehe jetzt besser.
Sie sagt nichts. Am nächsten Tag zähle ich nochmal die Barhocker ab. Es sind sechs, und ich denke, daß ich einen Blick in die Küche werfen werde, irgendwann.