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Der
Sandmann
Des Sandmanns sieben Sensenschnitte
Erster Schnitt
Der Schleier, der sich zwischen mich und meine Umwelt geschoben
hatte, begann sich zu verdichten. In den Spalten, zwischen den Schlieren
zeigten sich vereinzelt Konturen, im blitzenden Licht. Ich klemmte die
Füße zwischen das Gestänge des Barhockers, setzte das
Glas an die Lippen und legte den Kopf zurück. Mein Kopf wanderte
Richtung Nacken, das Glas war leer, die Decke schwankte und ich schloß
die Augen. Worte drangen an mein Ohr, Sätze, die mir Geborgenheit
schenkten und mir gleichzeitig fremd blieben. Langsam, fast vorsichtig
holte ich Luft. Der schale Duft des Faßbieres war mir näher
als die brodelnde Wortsuppe. Er strömte mir entgegen, strich vertraut
an den Wänden meiner Nase entlang und sagte nichts. Aber auch dieser
vertraute Duft konnte mich nicht darüber hinwegtäuschen, daß
meine Lippen trocken blieben. Ich setzte das Glas ab und machte Zeichen.
Wenig später sah ich die Hand, die mir ein volles Glas zuschob und
nahm es entgegen. Eine Hand, deren Finger sich öffneten, um sich
fast gleichzeitig mit einem hellen Klang um das leere Glas zu schließen.
Die routinierte Leichtigkeit und vielleicht auch der Klang ließen
mich für einen kurzen Augenblick den Schleier durchbrechen. Es tat
sich ein Spalt auf, und ich erblickte das Gesicht des Kellners, bevor
es zurück in den Nebel sank. Zwei Stunden später sah ich nurmehr
den Ring, der einen seiner Finger zierte, sich blitzend auf mich zubewegte
und wieder verschwand. Dann kam etwas von links oben. Ich zog mein Kinn
vom Tresen, fiel vom Barhocker und jemand half mir wieder hoch. Ein heller
Klang ließ meine Hand im Nebel tasten.
Mein Leben hat jahrelang aus erstaunlich vielen Regelmäßigkeiten
bestanden. Ich frage mich, warum mir das nie in den Sinn gekommen ist.
Regelmäßigkeit macht blind, und eigentlich sollte ich ihm dankbar
sein. Im Grunde genommen bin ich das auch, irgendwie. Als er durch die
Tür des Gottogo trat, erkannte ich ihn. Keine Ahnung, was ich an
ihm erkannte, ich erkannte ihn einfach. Es war ein typisches déja-vu,
eine ungreifbare Assoziation. Er ging schnurstraks auf mich zu, und ich
fragte mich Sekundenbruchteile später, warum um Himmels Willen ich
jahrelang diese Regelmäßigkeit über mich hatte ergehen
lassen. Ich stand auf, zog einen Schein aus der Hosentasche und zahlte.
und hier geht's weiter ...

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