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Von
der Zeit
Nichts und eine unermeßliche Anzahl von Objekten füllten den
Raum aus. Nur die größten Objekte konnte man aus den Augen
verlieren und wiedererkennen. Es war eine Frage der Zeit, oder des Raumes,
oder der Anschauung. Die kleinsten würden die größten
sein, irgendwann. Und sie waren die größten, irgendwo. Der
junge Herr holte aus und verlagerte sein Körpergewicht auf den hinteren
Fußballen, seine Muskeln spannten sich. Er winkelte das Knie leicht
an und federte ein paar Mal auf und ab. Als er die richtige Stellung gefunden
zu haben glaubte, verharrte er einen Augenblick. Er wurde zum sprungbereiten
Raubtier, mit halboffenem Mund die Luft in den Lungen haltend. Am Höhepunkt
seiner Konzentration schnellte sein Arm nach vorne. Mit einem Schrei befreite
sich sein Körper von der Anspannung. Das Hemd wurde in weitem Bogen
nach draußen geschleudert. Seine offene Hand blieb dort stehen,
wo sie das Hemd freigegeben hatte, und seine Augen verfolgten die Flugbahn.
Das Kleidungsstück löste sich aus seinem knollenartigen Zustand,
drehte sich einige Male um sich selber und kam dann zur Ruhe. Der steife
Kragen stellte sich auf und übernahm die Führung. Der junge
Herr gab sich zufrieden, schloß die Scheibe und zog einen mit Moos
bewachsenen Schemel heran. Er zupfte eine Wasserader aus dem Moos, ließ
sich auf dem Sitz nieder und beugte seinen Oberkörper nach vorne,
um besser beobachten zu können. Das Hemd verschwand mit zunehmendem
Abstand und war bald nicht mehr wiederzuerkennen. Er hob den linken Arm
und deutete auf etwas Rundes.
- Sieh dir das an, schon wieder ein Zellkern! Ich habe dir doch gesagt,
daß es ein komischer Vogel ist.
Der alte Herr legte eine Plüschkugel aus der Hand und beugte sich
ebenfalls vor. Die Plüschkugel kullerte zwischen seine Füße,
sträubte ein paar Haare und blieb dann liegen.
- Sprech nicht immer von komischen Vögeln, das ist mißverständlich.
Er streckte die rechte Hand seitlich aus und streichelte dem anderen über
die nackte Brust. Ein paar Narben waren längst verheilt.
- Und zieh dir ein frisches Hemd an.
Der andere griff nach hinten, stülpte sich ein frisches Hemd über
den Kopf und tat beleidigt.
- Mißverständlich! Du und das Wort! Als wenn die Sprache irgend
etwas ausmachen würde.
Der alte Herr winkte ab.
- Tu nicht immer beleidigt, das steht uns nicht.
Sein Gegenspieler blieb hartnäckig.
- Auch das macht nichts aus.
Der alte Herr klopfte mit dem Fingerknöchel an die Scheibe.
- Es geht ums Prinzip. Wenn wir nicht einmal mehr das Prinzip beibehalten,
dann können wir es auch gleich vergessen.
- Von mir aus.
Der alte Herr blickte auf.
- Wir sind das Vorbild, und es gibt viele, die sich nach uns richten.
- So viele sind es nun auch nicht mehr.
- Selbst wenn es nur einer wäre, dann wäre es auch dasselbe.
- Und wenn es keiner wäre?
- Dann würde es vielleicht einer werden. Wie auch immer.
Etwas trübte die Sicht.
- Mach noch ein bißchen Pulver rein.
Der Angesprochene schüttete farbloses Pulver nach und sah ihm hinterher.
Als es sich aufgelöst hatte, drehte er sich um. Er legte die Stirn
in Falten, schnitt Grimassen und lächelte schließlich resigniert.
- Das du immer von immer reden mußt! Was ist mit früher oder
später?
- Früher oder später? Kannst du dich an den reichsten Mann von
1994 erinnern?
Der junge Herr sah in den Kalender und tippte mit dem Zeigefinger auf
eine Spalte.
- Der kommt bald wieder, hier.
Der alte Herr nickte und sah hin.
- Na ja, das dauert noch eine Weile. Aber ich freue mich jetzt schon auf
ihn. Und wie ich mich freue.
Der alte Herr schnitt keine Grimassen. Er legte seine Brille zur Seite
und lachte drauf los, bis es regnete. Und während er lachte, schob
er kurz die Scheibe zur Seite und schloß sie dann wieder. Die Tränen
liefen ihm über die Wangen und zwischen die Lippen, und er schmeckte
gerne das Salz.
und hier geht's weiter ...

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